Trachealkanülenmanagement und neurogene Dysphagie – ein leitfadenorientierter Blogbeitrag

Für Fachpersonal
10. April 2025

In der medizinischen Versorgung von tracheotomierten und laryngektomierten Patienten spielt das Trachealkanülenmanagement eine entscheidende Rolle. Besonders herausfordernd ist die gleichzeitige Behandlung einer Dysphagie, einer Schluckstörung, die oft bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen auftritt. In unserem jüngsten Online-Seminar haben wir diese Themen eingehend behandelt und wertvolle Informationen und Empfehlungen bereitgestellt, die wir in diesem Blogbeitrag zusammenfassen möchten.

In diesem Blogbeitrag werden wir die wichtigsten Aspekte des Trachealkanülenmanagements in Verbindung mit einer neurogenen Dysphagie beleuchten. Wir werden uns auf die evidenzbasierte S1-Leitlinie „Neurogene Dysphagie“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Dysphagie konzentrieren, die für die Behandlung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen von Bedeutung sind. Zudem werden wir die Diagnostik und Therapieempfehlungen für diese Patientengruppe diskutieren.

Schematische Illustration des Schluckvorgangs

Die Bedeutung von evidenzbasierten Leitlinien - Warum sind medizinische Leitlinien wichtig?

Die Frage, ob wir medizinische Leitlinien wirklich benötigen, lässt sich klar mit einem „Ja“ beantworten. Leitlinien gewährleisten, dass alle Patienten, unabhängig von ihrem behandelnden Arzt oder Therapeuten, die gleiche qualitativ hochwertige Versorgung erhalten. Sie basieren auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und stellen sicher, dass die Behandlungsansätze relevant und effektiv sind, und fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dabei liefert die Leitlinie fundierte Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung von Dysphagien, die durch verschiedene Ursachen bedingt sind. Jedoch liefert diese lediglich eine Empfehlung und ist nicht rechtlich bindend.

Dysphagie und ihre Auswirkungen auf das Trachealkanülenmanagement

Was ist Dysphagie?

Dysphagie bezeichnet Schwierigkeiten beim Schlucken, die durch verschiedene Ursachen, einschließlich neurologischer Erkrankungen, hervorgerufen werden können. Bei tracheotomierten Patienten kann die Dysphagie durch eine reduzierte sensorische Wahrnehmung und die Auswirkungen der Tracheotomie auf die Schluckmechanik verstärkt werden.

Sensorisches Feedback beim Schlucken

Ein entscheidender Aspekt beim Schlucken ist das sensorische Feedback, das eine gute motorische Bewegung ermöglicht. Bei tracheotomierten Patienten kann der Luftstrom, der durch die oberen Atemwege geleitet wird, beeinträchtigt sein. Dies hat zur Folge, dass der sensorische Kortex nicht ausreichend aktiviert wird, was wiederum den motorischen Kortex beeinflusst und die Effizienz der Schluckbewegungen verringert.

Diagnostik und Therapieempfehlungen

Diagnostische Verfahren

Die Diagnostik bei Patienten mit Dysphagie und Trachealkanülen sollte umfassend sein und verschiedene Methoden berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem:

  • Anamnese: Eine gründliche Erhebung der Krankengeschichte ist entscheidend.
  • KSU (Skalen und Protokolle): Hierbei können spezifische Fragebögen zur Hand genommen werden, wie etwa: EAT-10, SWAL-QOL und SDQ.
  • Aspirationsscreenings: Diese helfen, die Funktion und Sicherheit des Schluckens zu beurteilen. Damit gemeint sind etwa: Wasserschlucktest, Mehrkonsistenztest und Schluckprovokationstest.
  • Bildgebende Verfahren: Röntgenuntersuchungen oder endoskopische Verfahren können zur genauen Diagnose beitragen.

Dekanülierungskriterien

Icon Lunge, das Atmen symbolisiert

Atemfunktion erfüllt?

Bevor dekanüliert wird, sollte der Patient dauerhaft spontan atmen können und nicht mehr invasiv beatmet werden müssen.

  • Maximal eine NIV-Therapie (non-invasiv), darf noch benötigt werden.
  • Der Atemweg muss intakt und obstruktionsfrei sein (z. B. keine geschwollenen Strukturen auf Glottisebene, in die Trachea hineinragende Knorpelspangen, Granulationsgewebe im subglottischen Raum).
  • Der Patient sollte infektfrei sein, vor allem keine pulmonalen Infekte haben.
  • Lungenentzündungen könnten außerdem ein Hinweis auf Aspiration/ineffektive Reinigung der Atemwege von Sekret sein; hier wäre eine Dekanülierung verfrüht.
Icon Gesicht mit Punkten vor dem Mund, das Schlucken symbolisiert

Schluckfunktion erfüllt?

Das Schlucken als Dekanülierungskriterium, bezieht sich nur auf das sichere Schlucken von Speichel.

  • Der Speichel sollte suffizient hochgehustet, geschluckt oder ausgespuckt werden können.
  • Um die Kontrolle des Speichels beurteilen zu können, sollte auf jeden Fall die FEES- als bildgebendes Verfahren durchgeführt werden.
  • Ob und welchem Umfang die Nahrungsaufnahme sicher ist, hat nichts mit einer Dekanülierung zu tun.
  • Es kann also sein, dass auch nach Dekanülierung noch eine starke Schluckstörung von Nahrung und Getränken vorliegt. Dies sollte mittels FEES abgeklärt werden.
  • Natürlich sollte immer vorsichtig abgewogen werden, ob die Trachealkanüle in naher Zukunft für den Patienten noch relevant ist, z.B. abhängig von der Grunddiagnose, progriente Erkrankung, keine OP, was ist der Patientenwille.

Ein mögliches standardisiertes Protokoll zur Evaluation der Schluckfunktion ohne das Risiko einer Aspiration ist das von Warnecke et al. (2013).

Icon Tropfen, das Sekret symbolisiert

Sekretmanagement erfüllt?

Neben der guten Kontrolle des oropharyngealen Sekrets ist die Kontrolle des Bronchialsekrets wichtig.

  • in vielen wissenschaftlichen Arbeiten und Leitlinien, so zum Beispiel auch in der Leitlinie des „National Tracheostomy Safety Project“ (UK), wird darauf hingewiesen, dass die Sekretproduktion und die Fähigkeit, Sekret zu mobilisieren, als Kriterium für die Dekanülierung berücksichtigt werden sollten.
  • Menge, Farbe und Konsistenz des Sekrets geben Hinweise auf das Sekrethandling; aspiriert der Patient? Kann er erfolgreich clearen?
  • Hoher Sekretverhalt oder zu zähes Sekret weisen darauf hin, dass der Patient nach Dekanülierung Probleme haben könnte, seine Atemwege freizuhalten: das Risiko für Atemwegsobstruktionen/-infektionen ist erhöht.
  • Vor der Dekanülierung sollte der Patient in der Lage sein, das Sekret effektiv mobilisieren und abhusten zu können.
  • Ob der Patient in der Lage ist, sein Sekret erfolgreich abzuhusten, zeigt z.B. eine niedrigere Absaugfrequenz.
  • Um einen effektiven Hustenstoß abzubilden, kann eine Peak-Cough-Flow Messung durchgeführt werden.

Verschlusskappen

Anatomische Illustration eines Menschen mit Luftzirkulation nach der Tracheotomie. Mit Tracoe Verschlusskappe.

Diese können helfen, den Luftstrom durch die oberen Atemwege zu regulieren und das sensorische Feedback zu verbessern.

Laut S1-Leitlinie kann eine endgültige Dekanülierung vorgenommen werden, wenn eine kontinuierliche Entblockungszeit von 24–28 h mit Verschlusskappe ohne Komplikationen toleriert wird.

Sprechventile

Anatomische Illustration eines Menschen mit Luftzirkulation nach der Tracheotomie. Mit Tracoe Sprechventil.

Durch die Verwendung von Sprechventilen kann die Stabilität des Rumpfes positiv beeinflusst werden, so die Atmung verbessern, was sich ebenfalls auf die Schluckfunktion auswirkt.

Therapieansätze der neurogenen Dysphagie

Die Behandlung von Dysphagie bei tracheotomierten Patienten sollte individuell angepasst werden und in Absprache mit dem behandelnden ärztlichen Personal erfolgen. Zu den empfohlenen Ansätzen gehören:

  • Diätische Intervention (z.B. das Andicken von Flüssigkeiten)
  • Sprachtherapeutische Dysphagietherapie (z.B. kompensatorische und restituierende Maßnahmen)
  • Mundhygiene (u.a. zur Prävention von Pneumonien)
  • Pharmakotherapie/Therapie der Hypersalivation (wie der Einsatz von Scopolamin oder L-Dopa bei Parkinson Patienten)
  • Neurostimulation (wie die pharyngeale Elektrostimulation (PES))
  • Minimalinvasive und chirurgische Therapie (z.B. Stimmlippenaugmentation oder die Bourgierung des oberen Ösophagussphinkters)

Fazit

Die Verbindung zwischen Dysphagie und Trachealkanülenmanagement ist ein komplexes, aber wichtiges Thema in der Patientenversorgung. Durch evidenzbasierte Ansätze und den Austausch von Wissen können wir die Lebensqualität unserer Patienten erheblich verbessern.

Die Empfehlungen der S1-Leitlinien zur Behandlung von Dysphagie bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen sind von großer Bedeutung. Sie bieten eine wertvolle Orientierung für Fachkräfte, fördern die interdisziplinäre Zusammenarbeit und tragen dazu bei, den Versorgungsstandard zu optimieren.

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