Nach der Laryngektomie – Der Weg bis zum freihändigen Sprechen

Laryngektomie
24. Juli 2024

Nach einer Laryngektomie verändert sich das Leben eines Patienten grundlegend, da die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation stark eingeschränkt wird. In diesem Blogartikel erfahren Sie, wie laryngektomierte Menschen durch spezialisierte logopädische Rehabilitation und den Einsatz von Sprechventilen wieder freihändig sprechen können. Dr. Ylenia Longobardi, Expertin für stimmliche, olfaktorische und pulmonale Rehabilitation, teilt wertvolle Einblicke und praktische Tipps, die den Alltag und die Lebensqualität von Patienten nach einer Laryngektomie erheblich verbessern.

Laryngektomierter Patient spricht freihändig am Handy

Dr. Ylenia Longobardi vom katholischen Universitäts-Krankenhaus vom Heiligen Herzen und Gemelli in Rom, Italien, ist seit 2013 Logopädin und kann sich sehr gut in die Lage von laryngektomierte Patienten hineinversetzen. Sie ist auf die stimmliche, olfaktorische und pulmonale Rehabilitation von Menschen mit einer Laryngektomie spezialisiert sowie die Rehabilitation von onkologischen, organischen, funktionalen und neurologischen Dysphonien.

Ylenia Longobardi hat sich der optimalen Versorgung des laryngektomierten Patienten verschrieben, für eine bestmögliche Rehabilitation. Während des letzten Jahres ihres Logopädie-Grundstudiums, hat sich Ylenia Longobardi für den Schwerpunkt Hals-Nasen-Ohren Onkologie entschieden. Die positiven Ergebnisse im Alltag ihrer Patienten haben sie in ihrer Arbeit und Forschung bestärkt.

„Die Wiederherstellung der Fähigkeit zu Sprechen bei Patienten, die sich einer Laryngektomie unterziehen mussten, wurde einer meiner stärksten Antriebskräfte.“ so Dr. Longobardi.

Die kontinuierliche Verbesserung der Behandlungs- und Rehabilitationsmethoden von laryngektomierten Menschen ist der Motor, der sie in ihrer Forschungsarbeit antreibt:

Jeder Fortschritt in meiner Forschung, motiviert mich noch stärker. Ich möchte meinen Patienten die bestmögliche Lebensqualität bieten.

Warum spielt freihändiges Sprechen eine so wichtige Rolle?

Die Fähigkeit zu sprechen ist ein Luxus, den viele Menschen als selbstverständlich betrachten. Genauso ist es mit der Fähigkeit zu sprechen und dabei gleichzeitig mit den Händen zu gestikulieren oder sich beispielsweise mit seinen Gästen unterhalten zu können, während man sie bekocht. Ylenia Longobardi ist der Überzeugung, dass das Sprechen allein, etwa durch das Verschließen des Stomas mit dem Finger, nicht ausreicht.

„Man muss bedenken, dass sich die Art der Kommunikation sehr stark verändert, etwa der Klang der Stimme. Die Stimme klingt nicht mehr wie vor der Laryngektomie. Das sind Herausforderungen, die über die reine Sprachverständlichkeit hinaus reichen.“ erklärt Dr. Longobardi.

Ohne freihändiges Sprechen muss der Patient eine sehr unnatürlich wirkende Geste ausführen, indem er das Stoma mit dem Finger verschließt. Das limitiert den Patienten nicht nur in der Möglichkeit während des Sprechens mehrere Tätigkeiten auszuüben, sondern lenkt zudem Aufmerksamkeit auf die körperliche Einschränkung.

„Hilfsmittel für das freihändige Sprechen sind deshalb von unschätzbarem Wert. Der Patient kann natürlicher und fließender sprechen, ohne dabei ständig an die Einschränkung erinnert zu werden. Das führt zu einer Verbesserung der Lebensqualität und der sozialen Interaktionen“ so Dr. Longobardi.

Was wird für das freihändige Sprechen benötigt?

Grundlegend ist das richtige Timing entscheidend für das erfolgreiche freihändige Sprechen. Wird das freihändige Sprechen zu früh versucht, wenn etwa die Stimme des Patienten noch nicht flüssig genug klingt oder die benötigten koordinativen Fähigkeiten noch nicht vorhanden sind, kann das bei Patienten zu Frustration oder Entmutigung führen, bis hin zum Abbruch der Therapie.

Auf der anderen Seite besteht bei einem zu späten Beginnen mit dem freihändigen Sprechen das Risiko, dass der Patient sich bereits zu sehr an die bisherige Methode der Kommunikation gewöhnt hat und sich weigert diese zu ändern.

„Durch eine sogfältige zeitliche Planung bei der Einführung von Sprechventilen, werden die Erfolgschancen maximiert und sichergestellt, dass jeder Patient die Möglichkeit hat von einem Sprechventil zu profitieren“ erklärt Ylenia Longobardi.

Voraussetzung für das erfolgreiche freihändige Sprechen, ist die Motivation des Patienten, der auch zuhause regelmäßig mit dem Sprechventil üben sollte.

„Es ist wichtig, schrittweise mit der Einführung zu beginnen, um den Patienten nicht zu entmutigen, etwa durch Ermüdung und die Intensität nur langsam zu steigern. So können die Benefits des freihändigen Sprechens Schritt für Schritt zum Einsatz kommen, beispielsweise durch die Nutzung während des Kochens oder einer Mahlzeit. Durch die Integration in alltägliche Situationen wird die Nützlichkeit für den Patienten spürbar.“ erläutert Dr. Longobardi.

Welche Schwierigkeiten birgt das freihändige Sprechen?

Eine der größten Herausforderungen ist der Klebstoff bei der Basisplatte, da es zu Haftungsproblemen kommen kann. Das sollte den Patienten jedoch nicht davon abhalten ein HME mit Sprechmodus zu nutzen. Ylenia Longobardi empfiehlt im Fall von Haftungsproblemen die Anwendung eines Buttons, da dieser für mehr Stabilität sorgt und auch in Kombination mit einem Freihand-Sprechventil einsetzbar ist.

Wie kann Herausforderungen während des freihändigen Sprechens bestmöglich begegnet werden?

In ihrer neusten Publikation konnte Dr. Longobardi zeigen, dass eine respiratorische Beeinträchtigung für laryngektomierte Menschen besonders gefährlich werden kann, insbesondere während körperlicher Aktivitäten, die eine maximale respiratorische Anstrengung erfordern.

„Eine Stimmprothese generiert ausreichend exspiratorischen Druck und ist damit entscheidend für die Stimmbildung“ so Dr. Longobardi.

Muskulatur, die für die Atmung und Stimmbildung benötigt wird, behält die Fähigkeit sich an neue Anforderungen anzupassen, beispielsweise durch Übungen im Rahmen der Rehabilitation. Dementsprechend können Übungen dazu beitragen Neuroplastizität zu fördern, den Heilungsprozess oder Funktionen wie etwa die Stimmbildung verbessern.

„Diese Tatsache erklärt, weshalb bewegungsbasierte Stimmübungen die neuromuskuläre Kontrolle des respiratorischen und phonatorischen Systems beeinflussen, obwohl der Kehlkopf entfernt wurde. Die Auswirkungen halten auch nach der Übungseinheit an.“ erklärt Ylenia Longobardi.

Etwaige Übungen sind darauf ausgelegt die respiratorische, phonatorische und artikulatorische Physiologie zu imitieren, um die Stimmbildung zu verbessern. Übungen mit einem Sprechventilen für das freihändige Sprechen benötigen ausreichend Zeit für eine ausführliche Aufklärung, eine detaillierte Anleitung und auf den Patienten zugeschnittene Übungen. Spezielle phonatorische Übungen, die durchgeführt werden, während der Patient in Bewegung ist, simulieren verschiedene dynamische Szenarien, die das freihändige Sprechen fördern. In der Studie konnte ein signifikanter Anstieg des freihändigen Sprechens festgestellt werden (17,27% zu Beginn der Studie, 60% am Ende) und gleichzeitig wurde ein Rückgang der Wechsel von Basisplatten/Befestigungslösungen und einer Reduzierung von Hautreizungen um das Stoma festgestellt.

„Patienten haben zurückgemeldet, dass die Übungen einfach zu erlernen und gut zuhause durchführbar sind. Sowohl das Niveau der Zufriedenheit als auch der Compliance waren hoch. Interessanterweise verschoben sich die Gründe für das Weglassen eines Sprechventils über die Zeit. Nur wenige Patienten nannten Probleme mit der Befestigung, beziehungsweise Haftung des Klebstoffes oder auch Ermüdung als Gründe. Vielmehr wurden Situationen genannt, die kein Sprechen erforderten. Diese Antworten legen nahe, dass das Üben für mehr Sicherheit bei Patienten sorgt, bei der Anwendung von automatischen Sprechventilen in unterschiedlichen Situationen“ fasst Dr. Longobardi zusammen.

Ylenia Longobardi ist seit 2013 Logopädin und Angestellte der HNO-Klinik der Agostino Gemelli Uniklinik Stiftung (IRCCS) und an der katholischen Universität vom Heiligen Herzen. Sie ist auf die stimmliche, olfaktorische und pulmonale Rehabilitation von Patienten mit einer Laryngektomie spezialisiert, sowie der Rehabilitation von onkologischen, organischen, funktionalen und neurologischen Stimmstörungen. 2010 schloss sie zudem ihr Studium der Psychologie ab mit einer anschließenden Spezialisierung auf Psychoonkologie in den Jahren 2013 und 2016. Außerdem erwarb Ylenia Longobardi 2019 einen Masterabschluss in Rehabilitationswissenschaften der Gesundheitsberufe der katholischen Universität des Heiligen Herzens.

Dr. Ylenia Longobardi vom katholischen Universitäts-Krankenhaus vom Heiligen Herzen und Gemelli in Rom, Italien

Ylenia ist Tutorin und Dozentin der Logopädischen Fakultät der katholischen Universität vom Heiligen Herzen in Rom und unterrichtet den Kurs: „Logopädie und Stimmpathologie“

Sie hat bereits zahlreiche Vorträge bei nationalen und internationalen Kongressen gehalten und ist Autorin von 32 Publikationen in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften zum Thema Stimmpathologie, im Besonderen bei laryngektomierten Patienten mit Stimmprothese.

Die in diesem Lehrmaterial enthaltenen Empfehlungen dienen lediglich als allgemeine Richtlinie für anerkannte Verfahren.

Diese sollten von qualifizierten Gesundheitsfachkräften unter Berücksichtigung der klinischen Einschätzung und der verfügbaren Gesundheitsressourcen angewendet werden.

Die bereitgestellten Informationen sind nicht als spezifische medizinische Beratung für einzelne Krankheitsbilder gedacht. Bei der Behandlung müssen die individuellen Gegebenheiten und Vorlieben des Patienten stets Vorrang haben. Die klinische Vorgehensweise muss sich an den Prinzipien des Schutzes, der Einbeziehung und der Partnerschaft orientieren.

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